Vergleich der Werkstruktur bei "Erec" von Hartmann von Aue und "Erec et Enide" von Chrétien de Troyes
Chrétien lieferte Hartmann nicht nur den literarischen Stoff. er diente ihm auch hinsichtlich der Komposition als Vorbild. Obwohl der Vergleich des altfranzösischen Originals mit der deutlich umfangreicheren mittelhochdeutschen Adaption zunächst ein starkes Eingreifen Hartmanns vermuten lässt, stellt sich bei genauerer Betrachtung heraus, dass die meisten Änderungen nur vorgenommen wurden, um der Komposition des Originals möglichst nahe zu kommen. Im Folgenden sollen daher die wichtigsten strukturellen Parallelen und zugleich die Notwendigkeit gewisser Abweichungen bezüglich der Gliederung und des Textumfangs aufgezeigt werden.
Die Struktur des Originaltextes ist überaus transparent; er ist in fünf ähnlich umfangreiche Blöcke aufgeteilt, die jeweils zwei inhaltliche Abschnitte umfassen. Die Zäsur zwischen diesen Abschnitten teilt den Block etwa im Verhältnis 1:1 (Block 1, 2 und 4) bzw. 3:2 (Block 3 und 5). Vergleicht man die ersten beiden Blöcke aus beiden Texten, so fällt auf, dass sich Hartmann bis zu diesem Zeitpunkt stark darum bemüht, die Struktur seiner Vorlage möglichst genau zu übernehmen. Er überschreitet bis dahin die Versanzahl des Originals (1452 + 1286) nur um 185 Verse, was ihm jedoch nur durch zwei Änderungen in der Stoffverteilung gelingt. Zunächst verschiebt er - vermutlich um den ersten Block nicht zu sehr anschwellen zu lassen - die Siegesfeier an den Anfang des zweiten Blocks und nutzt diese gleichsam als Auftakt zu Erecs "Glanzleben". Hier liegt der gravierendste Eingriff Hartmanns in den Originaltext: Während sich bei Chrétien Erecs 'Glanzleben' und 'Verliegen' innerhalb des selben Blocks gegenseitig kontrastieren, hebt Hartmann durch Verschieben des Letzteren in den dritten Block den Zusammenhang dieser beiden Vorgänge beinahe auf.
Der dritte Block bei Hartmann umfasst darüber hinaus den Aufbruch und die Abenteuer mit den Räubern und dem namenlosen Grafen (bei Chrétien: Galoain), reicht also im Vergleich bis zur Mitte des dritten Blocks des Originals. Ab dem darauf folgenden Abschnitt übernimmt Hartmann sämtliche Strukturgrenzen, wobei er jedoch jeden Abschnitt zu einem eigenen Block macht. So entsteht bei ihm eine achtteilige Struktur, deren Bauteile ebenso wie im Original in zwei Teile gegliedert sind, wobei allerdings sowohl Blockumfang als auch Größenverhältnis der Abschnitte untereinander sehr stark variieren. Dennoch lässt sich auch im Hartmann-Text Chrétiens symmetrische Grundstruktur wiederfinden. Geht man davon aus, dass der achte Block außerhalb des Kompositionssystems steht, so verschiebt sich der Angelpunkt der Erzählung auf das Ende des vierten Blocks (Rast in Artus' Waldlager) und bildet den Übergang zwischen erster und zweiter Abenteuerreihe, was inhaltlich betrachtet sogar passender erscheint als der Mittelpunkt des Originals, der mitten in der ersten Abenteuerreihe liegt.
Bemerkenswert ist Hartmanns Übersetzungsleistung vor allem deshalb, weil er sich einerseits Chrétien gegenüber dazu verpflichtet fühlt, dessen Werk nicht durch zu starke Abwandlung zu verfälschen, andererseits aber auch die Eigenheiten der deutschen Sprache sowie die publikumssozialen Gegebenheiten Deutschlands berücksichtigen musste. Obwohl es ihm bei diesem Text nur ansatzweise gelungen ist, die strukturelle Transparenz und Ausgewogenheit Chrétiens auf seine Übersetzung zu übertragen, war die Arbeit an diesem Text wegweisend für seine weiteren Übersetzungen, bei denen er sich dem Ideal der Chrétien'schen Erzählungen (Deckungsgleichheit zwischen Werkstruktur und Vortragsgliederung) immer stärker annähert.
Literatur: Linke, Hansjürgen: Epische Strukturen in der Dichtung Hartmanns von Aue. Wilhelm Fink Verlag, München-Allach 1968, S.107-26.
Chrétien lieferte Hartmann nicht nur den literarischen Stoff. er diente ihm auch hinsichtlich der Komposition als Vorbild. Obwohl der Vergleich des altfranzösischen Originals mit der deutlich umfangreicheren mittelhochdeutschen Adaption zunächst ein starkes Eingreifen Hartmanns vermuten lässt, stellt sich bei genauerer Betrachtung heraus, dass die meisten Änderungen nur vorgenommen wurden, um der Komposition des Originals möglichst nahe zu kommen. Im Folgenden sollen daher die wichtigsten strukturellen Parallelen und zugleich die Notwendigkeit gewisser Abweichungen bezüglich der Gliederung und des Textumfangs aufgezeigt werden.
Die Struktur des Originaltextes ist überaus transparent; er ist in fünf ähnlich umfangreiche Blöcke aufgeteilt, die jeweils zwei inhaltliche Abschnitte umfassen. Die Zäsur zwischen diesen Abschnitten teilt den Block etwa im Verhältnis 1:1 (Block 1, 2 und 4) bzw. 3:2 (Block 3 und 5). Vergleicht man die ersten beiden Blöcke aus beiden Texten, so fällt auf, dass sich Hartmann bis zu diesem Zeitpunkt stark darum bemüht, die Struktur seiner Vorlage möglichst genau zu übernehmen. Er überschreitet bis dahin die Versanzahl des Originals (1452 + 1286) nur um 185 Verse, was ihm jedoch nur durch zwei Änderungen in der Stoffverteilung gelingt. Zunächst verschiebt er - vermutlich um den ersten Block nicht zu sehr anschwellen zu lassen - die Siegesfeier an den Anfang des zweiten Blocks und nutzt diese gleichsam als Auftakt zu Erecs "Glanzleben". Hier liegt der gravierendste Eingriff Hartmanns in den Originaltext: Während sich bei Chrétien Erecs 'Glanzleben' und 'Verliegen' innerhalb des selben Blocks gegenseitig kontrastieren, hebt Hartmann durch Verschieben des Letzteren in den dritten Block den Zusammenhang dieser beiden Vorgänge beinahe auf.
Der dritte Block bei Hartmann umfasst darüber hinaus den Aufbruch und die Abenteuer mit den Räubern und dem namenlosen Grafen (bei Chrétien: Galoain), reicht also im Vergleich bis zur Mitte des dritten Blocks des Originals. Ab dem darauf folgenden Abschnitt übernimmt Hartmann sämtliche Strukturgrenzen, wobei er jedoch jeden Abschnitt zu einem eigenen Block macht. So entsteht bei ihm eine achtteilige Struktur, deren Bauteile ebenso wie im Original in zwei Teile gegliedert sind, wobei allerdings sowohl Blockumfang als auch Größenverhältnis der Abschnitte untereinander sehr stark variieren. Dennoch lässt sich auch im Hartmann-Text Chrétiens symmetrische Grundstruktur wiederfinden. Geht man davon aus, dass der achte Block außerhalb des Kompositionssystems steht, so verschiebt sich der Angelpunkt der Erzählung auf das Ende des vierten Blocks (Rast in Artus' Waldlager) und bildet den Übergang zwischen erster und zweiter Abenteuerreihe, was inhaltlich betrachtet sogar passender erscheint als der Mittelpunkt des Originals, der mitten in der ersten Abenteuerreihe liegt.
Bemerkenswert ist Hartmanns Übersetzungsleistung vor allem deshalb, weil er sich einerseits Chrétien gegenüber dazu verpflichtet fühlt, dessen Werk nicht durch zu starke Abwandlung zu verfälschen, andererseits aber auch die Eigenheiten der deutschen Sprache sowie die publikumssozialen Gegebenheiten Deutschlands berücksichtigen musste. Obwohl es ihm bei diesem Text nur ansatzweise gelungen ist, die strukturelle Transparenz und Ausgewogenheit Chrétiens auf seine Übersetzung zu übertragen, war die Arbeit an diesem Text wegweisend für seine weiteren Übersetzungen, bei denen er sich dem Ideal der Chrétien'schen Erzählungen (Deckungsgleichheit zwischen Werkstruktur und Vortragsgliederung) immer stärker annähert.
Literatur: Linke, Hansjürgen: Epische Strukturen in der Dichtung Hartmanns von Aue. Wilhelm Fink Verlag, München-Allach 1968, S.107-26.